„Menschen malen  –  das würde ich auch gern können!“

Das bekomme ich oft zu hören. Für viele ist es ein großes Rätsel, dabei ist es leichter als du denkst.

Für mich war und ist es immer das Spannendste am Porträtieren, dass ich auf diese Weise einen Menschen entdecken und kennenlernen kann. Meine Arbeit orientiert sich immer an einer konkreten Person. Ich liebe es, Feinheiten zu entdecken, die das jeweilige Gesicht und damit auch den Menschen ausmachen. Aber dazu mehr in einem späteren Blog Artikel. Denn um diese Feinheiten aufs Papier oder die Leinwand zu bringen, braucht man erstmal einige Grundlagen und etwas Übung und darum geht es in diesem Beitrag.

Jedes Gesicht ist zwar individuell, doch gibt es ein paar geometrische Grundregeln, die immer gültig sind.

Stephanie Bahrke BLOG 1 Portrait Gesicht frontal

Welche Grundregeln solltest du kennen?

In jedem Gesicht gibt es viele parallelen Linien.  Du kannst sie entdecken, in dem du imaginär oder auf der Bildvorlage waagerechte Linien ziehst. Verbinde hierzu z.B.  die inneren Augenwinkel oder die unteren Nasenflügel oder auch die Ohrspitzen, die Augenbrauen oder die untere Kinnlinie. Das Faszinierende: all diese Linien liegen immer parallel zueinander – egal, in welchem Winkel das Gesicht gemalt oder gezeichnet wird! Außerdem stehen diese Parallelen alle im rechten Winkel zur „Mittellinie“, die entsteht, wenn Stirnmitte, Nasenspitze, Mund- und Kinnmitte miteinander verbunden werden.

Die Augen liegen in der Mitte des Kopfes. Wenn du über der höchsten Stelle des Kopfes und unter dem Kinn Parallelen zu den anderen Linien ziehst, wirst du sehen, dass die Linie, die die Augen verbindet, immer genau in der Mitte zwischen Scheitel und Kinn

liegt. Meine Schüler sind jedes Mal wieder erstaunt, dass sich die Augen so weit unten im Kopf befinden.  Man unterschätzt nämlich sehr leicht, wieviel Haar- bzw. Kopffläche noch über der Stirn ist.

Stephanie Bahrke BLOG Portrait Halbprofil

Zur Position von Nase und Mund: ungefähr zwischen der Augenlinie und dem Kinn befindet sich mittig die Nasenspitze, das hängt aber sehr von der Nasenlänge ab. Auch nicht mehr ganz so eindeutig liegt der Mund meist eher im oberen Drittel zwischen Nase und Kinnlinie.

Womit fängst du am besten an?

Ich beginne niemals mit der Außenumrandung eines Gesichts. Wer schon mal mit der Außenkontur begonnen hast, kennt die Schwierigkeit, im Anschluss das Gesicht richtig zu setzen. Du erschaffst damit nämlich eine leere Fläche ohne Orientierung. In der Regel verlieren sich darin die Gesichtseinzelteile. Wenn du Halt und Orientierung durch die Außenkontur brauchst, beginne mit dem Schläfenrand. Ich gehe von dieser Linie zum nächstliegenden Auge, und hangele mich stückweise vom Auge zur Nase, zum Mund, vielleicht etwas Außenlinie dazu, zum anderen Auge, Augenbrauen, Kopfform, Ohren, zum Schluss Haare und Hals.

Forscher und Entdecker sein

Stephanie Bahrke BLOG Portrait-Flaechen

Aber wie bekommt man es hin, dass jedes Teil in der richtigen Proportion und am richtigen Platz im Verhältnis zu den anderen Teilen liegt? Das geht nur über das ganz genau Hinschauen, Messen und Finden von Linien und Formen. Du bist Entdecker und Forscher, deine Seziernadel ist der Stift oder Pinsel.  Suche die Linien im Gesicht. Was findest du da? Wie sieht die Fläche dazwischen aus, welche Form hat sie? Wenn du zum Beispiel die obere Linie des Augenlids nimmst und die Augenbraue darüber, entdeckst du dazwischen eine Fläche, die seitlich durch die Nasenwurzel begrenzt wird. Schau dir an, in welchem Winkel die Linien zueinanderstehen. Auf diese Weise findest du unzählige Linien und Flächen in deiner Vorlage, die dir Hilfe und Orientierung bieten. Wenn du ein lebendes Modell hast, musst du die Linien in Gedanken ziehen und die Formen auf diese Weise finden.

Messen, messen, messen

Ja, ohne zu messen kommst du allerdings nicht weit. Wie lang ist das Auge vom inneren Augenwinkel bis zum inneren Außenwinkel?  Wie groß der Abstand zwischen den Augen (es passt meistens ein Auge dazwischen), wie groß ist der Abstand zwischen innerem Augenwinkel und oberem Nasenflügelrand (oft auch eine Augenlänge!) Wieviel Platz ist zwischen Nasenspitze und Oberlippe? Und, und, und… Alles wird vermessen. Am leichtesten geht es, wenn du eine Vorlage ausgedruckt hast, die du maßstabgetreu abmalst, dann brauchst du nur ein Lineal. Bei einem lebenden Modell misst du mit deinem Stift, indem du ein Auge zukneifst, den Arm ganz ausstreckst und den Stift senkrecht zu deinem Blick hältst. Dann ist der Stift dein Maßstab und z.B. das Auge das Maß (s.o.)

Übung macht den Meister

Stephanie Bahrke BLOG Portrait gemaltUm ein Gesicht vom Foto oder von einem Modell abzuzeichnen, bedarf es einerseits eines guten Blickes für Linien und geometrischen Formen und andererseits einer guten Hand-Auge-Koordination.

Eine Übung, die sehr viel Spaß macht, ist das Blindzeichnen. Nimm dir einen beliebigen Gegenstand, oder auch gern dein Gegenüber und konzentriere dich ganz genau auf das, was du siehst. Und das malst du. Allerdings darfst du dabei nicht auf dein Papier und deinen Stift schauen. Es kommt nicht auf das Ergebnis an, sondern auf das Praktizieren – wobei das Ergebnis sehr viel Spaß machen kann. Bei meinen Kursen gibt es bei dieser Übung immer viele Lacher und so manch ein Picasso fühlte sich geboren. Wenn du es ein paar Mal gemacht hast, wirst du erstaunt sein, wie viel besser es mit dem nächsten Porträt klappt.

Um wirklich gut zu Portraitieren braucht es viel Übung. Gib nicht auf, mach immer weiter. Jeder kann ein Porträt malen.

In den nächsten Blogs gehe ich genauer darauf ein, wie man ein Auge malt, eine Nase und was am Mund die große Herausforderung ist.

Eure Stephanie Bahrke

 


Stephanie BahrkeSeit 2005 betreibt Stephanie Bahrke das Atelier unter der Linde für Portraitmalerei, ein lichtes Ladenatelier in Hamburg-Winterhude. Der Mensch stand schon immer im Mittelpunkt ihrer Kunst. Neben dem Malen von Auftragsportraits arbeitet sie interdisziplinär mit Künstlern anderer Genre zusammen und unterrichtet seit einigen Jahren Portraitmalerei.

Hier geht es zu dem Profil und den Kursen von Stephanie Bahrke.

 

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