CAMINOS SE HACEN AL ANDAR – einfach losgehen!


September 2019

Hier in Spanien gibt es ein Sprichwort: “Se hacen caminos al andar” – “Man macht die Wege beim Gehen”……und das stimmt auch!

Welches Material – welche Technik soll ich nehmen?

Seit meinen künstlerischen Anfängen habe ich mich eigentlich nie um das Erlernen von Techniken gekümmert, wahrscheinlich auch, weil ich eher ungeduldig bin. Das Problem für mich war schon, wenn mich die Verkäufer im Laden fragten, wozu ich dies und jenes Material benutzen wolle, um mich fachgerecht beraten zu können. Denn ich habe Materialien oft ganz gegen ihre eigentliche Funktion eingesetzt und so automatisch ein Risiko mit in meine Arbeit eingeführt. Ein “Risiko”, weil ich das Materialverhalten nicht immer abschätzen konnte und der “falsche” Einsatz bestimmter Farben (z.B. wasserlösliche gegen fettig) eventuell auch zu völlig überraschenden Ergebnissen führte oder sogar im schlimmsten Fall zum Scheitern des Arbeitsvorgangs.

Landschaft, Aquarell auf Ingres-Papier

Landschaft, Aquarell auf Ingres-Papier

Coag ulo weiss 2 - 2007- Oelfarbe, Plexiglas, Acrylfarbe und Karton, 75 x 75 x 13 cm

Coagulo weiss 2 – 2007- Oelfarbe, Plexiglas, Acrylfarbe und Karton, 75 x 75 x 13 cm

Risiko und Zufall – meine Freunde

“Risiko” und “Zufall” sind seitdem zwei wichtige Komponenten innerhalb meiner Arbeit, nicht in dem Sinne, dass das Endergebnis rein zufälliger Art wäre, also völlig beliebig, sondern in dem Sinne, dass die eigentliche Arbeit darin besteht, den Zufall zu steuern und das Risiko zu vermindern. Das heisst, aus dem Material-Verhalten zu lernen und es so einzusetzen, dass es genau dem entspricht, was ich als Ausdruck suche.

So habe ich im Laufe der Jahre Pressspan mit Stecheisen behauen (die dabei sehr schnell stumpf wurden), Aquarelle ausgewaschen, Ölfarbe in Plexiglaskästen gepresst, Plastik mit Hitze verformt und Glas auf Holz geschraubt ⏤ ich habe also gelernt.

Die Mehrzahl macht´s – im Plural sprechen

Ich arbeite ausserdem fast immer in sogenannten Serien, d.h. mache mehrere Blätter oder Objekte zu einem Thema, denn dadurch ergibt sich automatisch ein Beleuchten des Themas/der Sache aus verschiedenen “Perspektiven”. Gemeint ist hier nicht das Wechseln des Standortes beim Abbilden desselben Motivs, sondern eher der Zeitfaktor. Die Auswahl kommt später, ist aber auch wichtig.

(M)eine Methode – (m)ein Weg

Das Einführen des Risikos in den Arbeitsvorgang hat aber auch einen ganz anderen Wert: man lernt nämlich, wie man die Distanz zur eigenen Arbeit behält. Ohne Distanz kann man keine Kriterien zur eigenen Arbeit entwickeln. Denn “Geschmack” ist bekanntlich kein Kriterium.

“Risiko” bezieht sich dabei nicht nur auf das Material, sondern auch auf den Arbeitsvorgang selbst, das heisst das Verhalten gegenüber der Arbeit ist wichtig. Das sind natürlich alles nur Tricks, die es aber gilt weiterzugeben bzw. man muss sich und andere dazu ermuntern, sich selbst “Probleme” zu schaffen. Nur so -über das Bewältigen der Probleme im Bild – ist man eigentlich kreativ. Und wenn ich akzeptiere, dass das Unvorhergesehene eintrifft, also auch “Fehler” auftreten können, dann muss ich mir Zeit nehmen zu bewerten, ob ich darauf reagieren muss und wenn, wie darauf reagiert werden kann.

Mountain series, 2012 Kohle, Grafit, Filzstift, Plastikfolie auf Papier.

Mountain series, 2012 Kohle, Grafit, Filzstift, Plastikfolie auf Papier

Malpais in Arbeit, Lanzarote 2019, Atelieransicht

Malpais in Arbeit, Lanzarote 2019

Die Herausforderung des immer Neuen

Hat man einmal die Distanz zur eigenen Arbeit/zum eigenen Bild, kann man viel besser arbeiten, denn man ist offen für Neues. Die Distanz ergibt sich einmal aus dem Wissen, dass  die Sache/das Bild immer in Gefahr ist und deshalb der Bild-Vorgang wichtiger ist als das Ergebnis, und zum anderen durch den “Zeitfaktor”. Die Zeit macht, dass ich meine Arbeit wieder neu entdecken kann. Das Schwierige ist also das “Masshalten” nach dem Motto “weniger ist mehr”; sich auch mal zum “Nicht-Agieren” zwingen, um zu “sehen”, denn nicht agieren – nicht malen versteht sich – heisst ja nicht “nichts tun”.

Das ist das eigentliche Ziel, den Bildvorgang zu verstehen als einen “inneren Dialog”,  bei dem man selbst überrascht werden will durch Unvorhergesehenes. Man ist und bleibt also immer “Anfänger”.

Dass das das Spannendste ist, was ich kenne, hat dazu geführt, dass ich meine Künstlerexistenz nie werde aufgeben wollen.

Palette 2019, Presspan,oelfarbe,Glas, 57 x 58 x 6 cm

Palette 2019, Presspan, Ölfarbe, Glas, 57 x 58 x 6 cm

Text und Fotos: © Marion Thieme 2019

Marion Thieme


Marion Thieme verfügt über 20 Jahre Erfahrung als Dozentin für Zeichen- und Malkurse und ist Veranstalterin von Rioja Creativ. Die Absolventin der Düsseldorfer Kunstakademie (Abschluss Meisterschülerin) ist bereits 1988 nach Spanien übergesiedelt (zunächst in die Hauptstadt Madrid, später dann in die bekannteste Weinregion Spaniens, La Rioja).  Seitdem ist Marion Thieme als freischaffende Künstlerin tätig und hatte zahlreiche Ausstellungen in Galerien, Kunsträumen und Räumen von Institutionen (mit Kritiken von der Fachpresse in Spanien und auch in den USA). Immer wieder arbeitet sie mit Künstlern anderer Sparten, vornehmlich Schriftstellern und Musikern zusammen. Daraus sind verschiedene Bücher mit Illustrationen sowie andere gemeinsame Projekte entstanden.

Die Kurse von Rioja Creativ finden seit 2009 in Munilla – La Rioja – in der „Bilderfabrik“ – dem großzügigen Atelier von Marion Thieme  statt.

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